Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen.
Auch der fehlende Zugang zum Wissen Dritter über die eigene Person kann die von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte individuelle Selbstbestimmung berühren.
Daher verschafft das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung seinem Träger auch Rechtspositionen, die den Zugang zu über ihn gespeicherten persönlichen Daten betreffen.
Bezogen auf den Zugang zu Krankenakten gebieten das Recht auf Selbstbestimmung und die personale Würde des Patienten (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG), jedem Patienten gegenüber seinem Arzt und Krankenhaus grundsätzlich einen Anspruch auf Einsicht in die ihn betreffenden Krankenunterlagen einzuräumen. Dieses Einsichtsrecht ist zwar von Verfassungs wegen nicht ohne Einschränkungen gewährleistet. Es hat seine Grundlage aber unmittelbar in dem grundrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht des Patienten und muss daher nur zurücktreten, wenn ihm entsprechend wichtige Belange entgegenstehen.
Bei der demnach notwendigen Abwägung kommt dem Informationsinteresse des Patienten grundsätzlich erhebliches Gewicht zu. Ärztliche Krankenunterlagen betreffen mit ihren Angaben über Anamnese, Diagnose und therapeutische Maßnahmen den Patienten unmittelbar in seiner Privatsphäre. Deshalb und wegen der möglichen erheblichen Bedeutung der in solchen Unterlagen enthaltenen Informationen für selbstbestimmte Entscheidungen des Behandelten hat dieser ein geschütztes Interesse daran zu erfahren, wie mit seiner Gesundheit umgegangen worden ist, welche Daten sich dabei ergeben haben und wie man die weitere Entwicklung einschätzt.
Dieser grundrechtlich verankerte Anspruch besteht auch dann, wenn der Patient im Strafvollzug oder Maßregelvollzug untergebracht ist.
Im Hinblick auf den Anspruch auf Einsicht in die Krankenunterlagen eines im Maßregelvollzug Untergebrachten hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten im Maßregelvollzug in stärkerem Maße gefährdet ist als bei privatrechtlichen Behandlungsverhältnissen. Die insoweit maßgeblichen Erwägungen lassen sich zumindest teilweise auf die Behandlung von Strafgefangenen übertragen. Wie der im Maßregelvollzug Untergebrachte kann auch ein Strafgefangener seinen Arzt nicht frei wählen. Er kann selbst dann nicht nach eigenem Wunsch in ein anderes Behandlungsverhältnis wechseln, wenn er kein Vertrauen in den ihn behandelnden Arzt hat und nach seiner Wahrnehmung die Beziehung zerrüttet ist. Auch wo solche Einschätzungen rein subjektiven Charakter haben, ist unter diesen Bedingungen das Selbstbestimmungsrecht des Behandelten durch Verweigerung des Zugangs zu wesentlichen Teilen der eigenen Krankenunterlagen deutlich intensiver berührt als in einem privatrechtlichen Behandlungsverhältnis, in dem der Betroffene sein Selbstbestimmungsrecht dadurch ausüben kann, dass er sich aus dem Behandlungsverhältnis zurückzieht. Wie der Maßregelvollzug ist auch der Strafvollzug durch ein besonders hohes Machtgefälle zwischen den Beteiligten geprägt, weshalb die Grundrechte der Betroffenen naturgemäß besonderer Gefährdung ausgesetzt sind. Dies gilt auch in Bezug auf die Führung der Akten und den Zugang zu ihnen. Der Inhalt der Krankenunterlagen ist wegen seines sehr privaten Charakters in besonderem Maße grundrechtsrelevant. Ohne Akteneinsicht kann sich der Betroffene nicht vergewissern, ob die Aktenführung den grundrechtlichen Anforderungen entspricht, und seinen Anspruch auf Löschung oder Berichtigung falscher Informationen nicht in gleicher Weise verwirklichen.
Der grundrechtlich verankerte Anspruch des Patienten auf Einsicht in seine Krankenakte wird auch durch die Wertungen des Art. 8 EMRK unterstrichen.
Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes, sofern dies nicht zu einer von der Konvention selbst nicht gewollten (vgl. Art. 53 EMRK) Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs folgt aus Art. 8 EMRK grundsätzlich ein Anspruch des Patienten gegenüber staatlichen Stellen auf umfassende Einsicht in seine Krankenakte und die Übermittlung von Kopien. Danach obliegt es nicht dem Patienten, seinen Antrag zu begründen; vielmehr bedarf es zwingender Gründe (“compelling reasons“), um den Antrag abzulehnen. Im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs steht Ziffer 8.1. der Empfehlung Nr. R (97) 5 des Europarats über den Schutz medizinischer Daten, wonach jedermann Zugang zu seinen medizinischen Daten haben soll. Dem entsprechen die Empfehlungen des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT). Danach sollen Patienten, denen die Freiheit entzogen ist, alle relevanten Informationen über ihren Gesundheitszustand, den Behandlungsverlauf und die verordneten Medikamente zur Verfügung gestellt werden; vorzugsweise sollen sie das Recht haben, den Inhalt ihrer Gefängniskrankenakte zu konsultieren, es sei denn, dies ist aus therapeutischen Gründen nicht ratsam (CPT-Standards).
Aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgt grundsätzlich ein Recht des Patienten auf Einsicht in die ihn betreffenden Krankenunterlagen. Dieses verfassungsrechtlich verankerte Informationsinteresse des Patienten wird durch die besonderen Verhältnisse des Strafvollzugs noch verstärkt.
Im vorliegenden Fall hatte der Strafgefangene dargelegt, dass er umfassende Einsicht in seine Krankenunterlagen begehre, um sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung auszuüben und die Rechtmäßigkeit seiner Behandlung sowie der Aktenführung zu überprüfen. Danach hätte die begehrte Akteneinsicht grundsätzlich gewährt werden müssen. Das Selbstbestimmungsrecht des Strafgefangenen muss nur dann zurücktreten, wenn einer Akteneinsicht entsprechend gewichtige Belange entgegenstehen. Entsprechende Ausschluss-tatbestände finden sich etwa in Art. 10 Abs. 5 BayDSG, wobei allerdings in jedem Fall eine Abwägung mit dem Selbstbestimmungsrecht des Strafgefangenen vorzunehmen gewesen wäre. Gesichtspunkte, die dessen Informationsinteresse überwiegen könnten, hat das Landgericht jedoch nicht benannt.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass, wenn es im Hinblick auf bestimmte Aktenteile hinreichend gewichtige Gründe für die Ablehnung der Akteneinsicht geben sollte, eine Auseinandersetzung mit der Möglichkeit der Aussonderung oder Schwärzung dieser Aktenteile erfolgen müsste.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20. Dezember 2016 – 2 BvR 1541/15