Quantcast
Channel: Informationelle Selbstbestimmung - Rechtslupe
Viewing all articles
Browse latest Browse all 40

Karlsruher Blitzer

$
0
0

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Videoüberwachung hatten viele schon die Hoffnung, dass auch die Anlagen zur Überwachung des Verkehrs auf Geschwindigkeitsüberschreitungen oder auf Unterschreitung des erforderlichen Mindestabstands diesem Verdikt unterfielen und mithin in entsprechenden Bußgeldverfahren nicht mehr verwendbar sein würden.

Doch zu früh gefreut, diese Hoffnungen hat das Bundesverfassungsgericht soeben zunichte gemacht: In Karlsruhe blieb jetzt eine Verfassungsbeschwerde gegen “Blitzer” erfolglos:

Der Beschwerdeführer wurde vom Amtsgericht Potsdam wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße verurteilt. Die Verurteilung stützt sich auf das Ergebnis der Geschwindigkeitsmessung mittels einer geeichten Messeinrichtung sowie die im Rahmen des Messverfahrens gefertigten Lichtbilder, auf denen der Beschwerdeführer zu erkennen ist. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde verwarf das Brandenburgische Oberlandesgericht als unbegründet.

Seine hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen: Die Verfassungsbeschwerde hat, so die Karlsruher Verfassimgsrocjter. weder grundsätzliche Bedeutung noch liegt eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG oder ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Bedeutung als Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) liegt vor.

Es ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Gerichte die Vorschrift des § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO als Rechtsgrundlage für die Anfertigung von Bildaufnahmen zum Beweis von Verkehrsverstößen herangezogen haben. Die Norm erlaubt die Anfertigung von Bildaufnahmen ohne Wissen des Betroffenen, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise weniger Erfolg versprechend oder erschwert wäre. Auch die Auslegung und Anwendung dieser Norm durch das Amtsgericht und das Oberlandesgericht zeigt keine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts.

Die Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung von einfachem Recht den grundgesetzlichen Wertmaßstäben Rechnung zu tragen. Die fachgerichtliche Rechtsprechung unterliegt jedoch nicht der unbeschränkten verfassungsgerichtlichen Nachprüfung. Eine umfassende Kontrolle der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts findet nicht statt. Das Bundesverfassungsgericht überprüft – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur, ob die angefochtenen Entscheidungen Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Ein Grundrechtsverstoß, der zur Beanstandung der angegriffenen Entscheidungen führt, liegt vor, wenn übersehen worden ist, dass bei Auslegung und Anwendung der einfachgesetzlichen Vorschriften Grundrechte zu beachten waren, wenn der Schutzbereich der zu beachtenden Grundrechte unrichtig oder unvollkommen bestimmt oder ihr Gewicht unrichtig eingeschätzt worden ist.

Ein derartiger Verstoß gegen Grundrechte ist für das Bundesverfassungsgericht nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer rügt lediglich die fehlerhafte Anwendung der einfachgesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG. Die obergerichtliche Rechtsprechung zieht diese Regelung überwiegend als Rechtsgrundlage für die Anfertigung von Bildaufnahmen zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr heran, wenn der Verdacht eines Verkehrsverstoßes gegeben ist. Dem folgen Teile der Literatur.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht geht, so das Bundesverfassungsgericht, in seiner Rechtsbeschwerdeentscheidung zutreffend davon aus, dass bei einer Bildaufnahme, bei der Fahrer und Kennzeichen identifizierbar sind, ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung vorliegt. Als Rechtsgrundlage hat es § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG herangezogen und unter Berufung auf den Wortlaut ausgeführt, dass diese Eingriffsbefugnis Bildaufnahmen zur Erforschung des Sachverhalts sowie zu Ermittlungszwecken ermöglicht, ohne auf Observationszwecke beschränkt zu sein. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers, der mit einer Auffassung in der Rechtsprechung und in der Literatur eine Beschränkung dieser Befugnis auf die Anfertigung von Bildaufnahmen zu Observationszwecken befürwortet, hat das Brandenburgische Oberlandesgericht dadurch den Schutzbereich von Grundrechten nicht verkannt und ihr Gewicht auch nicht unrichtig eingeschätzt. Die Heranziehung dieser Rechtsgrundlage begegnet vielmehr keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Es handelt sich um eine Frage der Anwendung und Auslegung einfachen Rechts, die vom Bundesverfassungsgericht nicht zu überprüfen ist. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot, der voraussetzen würde, dass diese Rechtsauffassung unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar wäre, ist nicht ersichtlich.

Entsprechendes gilt auch für die Feststellung des Oberlandesgerichts, dass eine verdachtsabhängige Anfertigung von Bildaufnahmen stattgefunden hat. Im angegriffenen Beschluss wird, so das Bundesverfassungsgericht weiter, nachvollziehbar dargelegt, dass der erforderliche Tatverdacht vorlag. Ein Verstoß gegen spezifisches Verfassungsrecht ist darin ebenfalls nicht zu sehen.

Die angefochtenen Entscheidungen lassen auch keine unverhältnismäßige Beschränkung grundrechtlicher Freiheiten erkennen. Zweck derartiger Maßnahmen der Verkehrsüberwachung ist die Aufrechterhaltung der Sicherheit des Straßenverkehrs und damit – angesichts des zunehmenden Verkehrsaufkommens und der erheblichen Zahl von Verkehrsübertretungen – der Schutz von Rechtsgütern mit ausreichendem Gewicht. Das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs steht auch in Zusammenhang mit dem aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrag zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben. Die Anfertigung von Bildaufnahmen zum Beweis von Verkehrsverstößen ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet.

Durchgreifende Zweifel an der Erforderlichkeit sind nicht ersichtlich. Die Fachgerichte haben die Subsidiaritätsklausel des § 100h Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz StPO (in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG) geprüft und dargelegt, dass keine weniger belastende Maßnahme in Betracht kommt. Der Beschwerdeführer hat auch keine durchgreifenden Gründe dafür vorgebracht, dass die mit der konkreten Maßnahme verbundenen Eingriffe außer Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich einerseits um verdeckte Datenerhebungen handelt, was regelmäßig zur Erhöhung der Eingriffsintensität führt, dass aber andererseits nur Vorgänge auf öffentlichen Straßen aufgezeichnet werden, die grundsätzlich für Jedermann wahrnehmbar sind, so dass das Gewicht des Eingriffs für den Einzelnen reduziert ist. Die Maßnahme zielt nicht auf Unbeteiligte, sondern ausschließlich auf Fahrzeugführer, die selbst Anlass zur Anfertigung von Bildaufnahmen gegeben haben, da der Verdacht eines bußgeldbewehrten Verkehrsverstoßes besteht. Andere Personen dürfen gemäß § 100h Abs. 3 StPO nur betroffen sein, wenn dies unvermeidbar ist. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass lediglich einzelne Aufnahmen angefertigt werden. Einschüchterungseffekte und eine Beeinträchtigung bei der Ausübung von Grundrechten sind nicht zu erwarten. Vielmehr zielt die Verkehrsüberwachung nur auf die Einhaltung der aus Gründen der Verkehrssicherheit erlassenen Geschwindigkeitsregelungen. Schließlich entfaltet die Maßnahme über die Ahndung der Verkehrsordnungswidrigkeit hinaus grundsätzlich keine belastenden Wirkungen für den Betroffenen. Es bestehen in § 101 StPO hinreichende grundrechtssichernde Verfahrensvorschriften über die Benachrichtigung sowie zur Kennzeichnung und Löschung von Daten. Es ergeben sich daher im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 5. Juli 2010 – 2 BvR 759/10


Viewing all articles
Browse latest Browse all 40